Insolvenzordnung, Liquistatus und 13-Wochen-Finanzplan: Kennen Sie die Zusammenhänge?
Früherkennung von Liquiditätsrisiken ist Pflicht – nicht Kür
Geschäftsführer, Vorstände und Aufsichtsräte sind verpflichtet, die wirtschaftliche Lage ihres Unternehmens laufend zu überwachen und eine Insolvenzgefährdung frühzeitig zu erkennen.
Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen sind § 1 Abs. 1 StaRUG, § 43 GmbHG und § 93 AktG. Verstöße können zu erheblichen Haftungsrisiken führen.
Die zentrale Frage lautet:
Besteht bereits eine Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder nur eine vorübergehende Zahlungsstockung?
1️⃣ Finanzstatus: Pflicht zur Stichtagsanalyse (nach IDW S 11)
Die permanente Prüfung auf Zahlungsunfähigkeit erfolgt über den Finanzstatus, also eine Stichtagsbetrachtung.
Dabei gilt:
(Liquide Mittel + ungenutzte Kreditlinie) < fällige Verbindlichkeiten → Liquiditätslücke → sofortige Prüfung auf Insolvenzreife erforderlich.
💡 Praxistipp: Sofortmaßnahmen zur kurzfristigen Schließung einer Liquiditätslücke
- Einführung von Factoring oder verschärftes Forderungsmanagement mit gesichertem Liquiditätszufluss
- Liquidierung von Vermögenswerten, z. B. Sale-and-Lease-Back (Dienstleisterempfehlung: LeFa FINANZ)
- Bankverhandlungen zur Ausweitung von Kreditlinien gegen zusätzliche Sicherheiten
- Gesellschafterdarlehen oder Eigenkapitaleinlagen
- Wichtig: Aufbau eines täglichen Cash-Reportings, das Liquidität und ungenutzte Kreditlinien transparent macht
👉 Den Liquiditätsstatus Ihres Unternehmens können Sie mit unserem Sustenum-Tool ermitteln.
2️⃣ Drei-Wochen-Test als Entscheidungsschwelle
Ergibt sich aus dem Finanzstatus eine Liquiditätslücke, muss unverzüglich ein 3-Wochen-Finanzplan aufgestellt werden (abgeleitet aus § 15a InsO).
Dieser dient der Überprüfung, ob die Liquiditätslücke geschlossen bzw. alle in drei Wochen fälligen Verbindlichkeiten vollständig gezahlt werden können.
Die Rechtsprechung BGH, Urt. v. 19.12.2017, II ZR 88/16 verlangt eine tagesgenaue Gegenüberstellung der fälligen Verbindlichkeiten und der vorhandenen bzw. innerhalb von drei Wochen zu beschaffenden Zahlungsmittel.
Hier dürfen nur solche Forderungen einfließen, bei denen der Zahlungseingang objektiv gesichert ist (z. B. bereits avisierte Zahlung, bestätigter Zahlungslauf, unwiderrufliche Bankzusage).
Es wird dringend empfohlen, bereits in dieser Phase einen Berufsträger z.B. Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer hinzuzuziehen.
- Zahlungsunfähigkeit:
Wenn am Ende des 3-Wochen-Zeitraums 10 % oder mehr der fälligen Verbindlichkeiten nicht beglichen werden können → Insolvenzantragspflicht, "...sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zuzumuten ist" (BGH, Urteil vom 7. Mai 2013 - IX ZR 113/10, ZIP 2013, 2323 Rn. 15 mwN; vom 28. April 2022 - IX ZR 48/21, ZIP 2022, 1341 Rn. 24).
- Zahlungsstockung:
Wenn die Lücke auf unter 10 % sinkt → keine Antragspflicht, aber 13-Wochen-Finanzplanung erforderlich.
3️⃣ Die 13-Wochen-Finanzplanung – Pflicht und Steuerungsinstrument
Die 13-Wochen-Planung dient als Prognoseinstrument, um die Liquidität für die nächsten drei Monate (u.U. bis zu sechs) realistisch abzubilden.
Ziel ist der Nachweis, dass alle bestehenden Verbindlichkeiten innerhalb dieses Zeitraums zu 100 % bedient werden können.
Keine 100 %-Deckung = Insolvenzreife → Antragspflicht.
💡 Praxistipps zur 13-Wochen-Finanzplanung:
- Vollständigkeit der Verbindlichkeiten sicherstellen:
Alle dem Unternehmen zugegangenen fälligen Rechnungen müssen einbezogen werden – auch intercompany sowie noch nicht gebuchte, vorerfasste oder im Freigabeprozess „hängende“ Eingangsrechnungen.
- Abflüsse vollständig berücksichtigen:
Auch Eventualverbindlichkeiten, Leasing, Mieten, Versicherungen, Steuern und Kredittilgungen ohne Einzelbelege bzw. mit Jahresabrechnungen.
- Passivseitige Sachverhalte klären:
Mit einem Berufsträger abstimmen, ob und wie folgende Positionen einzubeziehen sind:
- Lieferanten-Claims oder Kundenkompensationen in Klärung
- Abgrenzungen (Bestellobligo, offene Eingangsrechnungen)
- Rückstellungen
- Anhängige Gerichtsverfahren mit Streitwert, aber ohne Rückstellungen (z. B. laut Anwaltsbestätigung zum Jahresabschluss)
- Zahlungsziele realistisch ansetzen:
Verwenden Sie echte statt theoretischer Zahlungsziele; ggf. kundengruppenspezifischer DSO. Eine Kalkulationshilfe auf Jahresbasis finden Sie in unseren Tools.
- Dokumentation ist Pflicht:
Halten Sie Planungsprämissen und Quellen exakt fest.
Später kann ein Insolvenzverwalter prüfen, auf welcher Grundlage Sie entschieden haben.
👉 Eine strukturierte Vorlage für Ihre 13-Wochen-Finanzplanung inklusive Checkliste zum Download (Ihre spezifischen Prämissen und Datenquellen sind zu ergänzen) finden Sie in unseren Sustenum-Tools.
4️⃣ Haftungsrisiken und rechtliche Abgrenzung
Parallel zur Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO, Antragspflicht, Finanzstatus und 3/13 Wochen-Finanzplan) und drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO, Antragsrecht, 24-Monate-Finanzplan) muss stets geprüft werden,
ob eine insolvenzrechtliche Überschuldung (§ 19 InsO, Antragspflicht, 12-Monate-Finanzplan und negatives Reinvermögen zu Liquidationswerten bzw. nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag) vorliegt.
In diesem Fall besteht eine Antragspflicht binnen sechs Wochen.
Selbst wenn am Ende des 13-Wochen-Zeitraums nur eine geringe Restlücke verbleibt, wird i.d.R. von einer Zahlungsunfähigkeit ausgegangen. Das bedeutet: Antragspflicht.
💡 Praxisstipp:
Dokumentieren Sie alle Planungsannahmen, Datenquellen und Entscheidungsgrundlagen fortlaufend.
Eine entsprechende Checkliste für die 13-Wochen-Planung steht in unseren Tools bereit.
Achtung: Nach Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 28.06.2022, II ZR 112/21, Rn. 14f) können auch vier Finanzstati im Dreiwochenzeitraum im Abstand von je eine Woche als ausreichend erachtet werden, um eine Zahlungsunfähigkeit nachzuweisen. Dieses Urteil bezieht sich nicht nur auf Cash-Pooling Sachverhalte, zeigt aber, dass hier für alle Beteiligten (Cash-Pool Geber wie Cash-Pool Nehmer)
besondere Anforderungen und Haftungsrisiken bestehen.
Zahlungseinstellung als Insolvenzgrund:
Eine Zahlungsunfähigkeit wird auch bei Zahlungseinstellung angenommen. Klingt logisch, aber hier zählen bereits Indizien wie z.B.:
- Eigene Mitteilungen an Geschäftspartner über Zahlungsaufschübe oder Stundungsvereinbarungen
- Keine Reaktion auf Mahnungen
- (Angedrohter) Lieferstopp durch Lieferanten
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Fazit
Die Insolvenzantragspflichten sind komplex, ihre Einhaltung ist jedoch entscheidend, um persönliche Haftung zu vermeiden.
Mit einem transparenten Finanzstatus, einer belastbaren 13-Wochen-Planung und klar dokumentierten Entscheidungsgrundlagen schaffen Sie Sicherheit für sich und Ihr Unternehmen.
Wenn Sie Fragen zu diesem sensiblen Thema haben, kontaktieren Sie uns gerne unter sustenum.de/kontakt.
Unsere Tools unterstützen Sie dabei, Liquiditätslücken frühzeitig zu erkennen und fundierte Entscheidungen zu treffen:
👉 Zum Tool: Liquiditätsstatus & 13-Wochen-Planung
📄 Hier finden Sie eine Zusammenfassung zum Download
Blog_Liquistatus_Liquiplanung.pdf